Luca Nichetto ist ein Designer, der das Glück hatte, in Venedig geboren zu werden, genauer gesagt auf der Insel Murano. Von der Insel in der venezianischen Lagune zu stammen, ist ein doppeltes Glück: Einerseits wächst man umgeben von Schönheit auf, andererseits hat man eine natürliche Begabung für Design, da es auf der Insel viele historische Orte gibt. Und schließlich verleihen die mit dem Wasser verbundenen Rhythmen eine andere Dimension, die zu einer anderen Herangehensweise an die Nachdenklichkeit führt, mit verdünnten Zeiten.
Heute teilt Luca Nichetto seine Zeit zwischen seinem Atelier in Stockholm, wo er lebt, und seinem Atelier in Venedig, seinem Geburtsort, auf. Zu seinen Projekten gehören zahllose Möbel, Leuchten, wertvolle Keramiken und natürlich Muranoglas. Seine Arbeit reicht von Produktdesign über Art Direction hin zu Innenarchitekturprojekten; die Kunden des Studios reichen von Foscarini über Ginori 1735 bis hin zu Hermès und La Manufacture.
Vor kurzem stellte er in New York offiziell sein limitiertes Gran Nichetto Klavier vor, seine Interpretation des Klaviers für Steinway & Sons. Und brachte eine von Angela Roi produzierte Tragetasche aus Apfelleder auf den Markt, einem innovativen und nachhaltigen Leder, das aus Abfällen der Apfelverarbeitung hergestellt wird.
Luca Nichetto: das Interview
Hallo Luca, ich freue mich, dich kennenzulernen!
Wie kamst du dazu, Designer zu werden? Was hat dich auf diesem Weg am meisten inspiriert?
Mein Geburtsort hat definitiv eine Rolle gespielt. Lass mich das erklären: Ich wurde in Murano geboren, der venezianischen Insel, auf der sich die berühmtesten Öfen zur Herstellung von geblasenem Glas befinden. Das bedeutet, dass ich von klein auf eine sehr enge Verbindung zu Glas und seiner Verarbeitung hatte.
Lange, bevor ich anfing, Design zu studieren, besuchte ich das Istituto d‘Arte in Venedig. Für uns Schüler an dieser Schule war es typisch, dass wir Glaszeichnungen an die Öfen verkauften, um uns ein Taschengeld für die Ferien und zusätzliche Ausgaben zu verdienen.
Später besuchte ich die Universität, die Fakultät für Design, und schließlich hatte ich durch einen weiteren glücklichen Zufall die Gelegenheit, ein Praktikum bei Foscarini zu machen, gerade als das Unternehmen seine weltweite Expansion begann.
In den Monaten bei Foscarini lernte ich, wie man Glas für Licht einsetzt und wie man Leuchten aus anderen Materialien entwirft und entwickelt. Alles andere ist mein Geschäft, das ich im Laufe der Zeit aufgebaut habe.
Was bedeutet es heute, ein Designer zu sein?
Ich glaube, es ist ziemlich kompliziert, heute Designer zu sein. Meiner Meinung nach ist die Rolle des Designers heute mit der des Künstlers in der Renaissance vergleichbar, was bedeutet, dass ein Designer über umfassende Fähigkeiten in verschiedenen Disziplinen verfügen muss.
Ein Designer muss natürlich wissen, wie man entwirft, aber er muss auch ein tiefes Verständnis für Materialien haben. Weiterhin muss er aber auch über Kenntnisse in den Bereichen Kommunikation, Marketing, Vertrieb, Recht und Finanzen verfügen. Für einen Unternehmer mit einer Vision sind Designer/innen eine unschätzbare Hilfe bei der Entwicklung von Produkten und der Wahl des Weges, den das Unternehmen gehen soll.
Leider gibt es heute immer weniger Unternehmer/innen mit einer Vision und immer mehr multinationale Konzerne, die auf verschiedenen Märkten tätig sind, es aber vorziehen, die unternehmerischen Risiken zu minimieren. Das führt bedauerlicherweise zu einer allgemeinen Verflachung, bei der es immer schwieriger wird, wirklich innovative Produkte herzustellen.
Wenn du dich auf den Verkauf verlässt, kannst du auch kaum noch etwas Innovatives entwickeln, da ein neues Produkt zwar marktfähig ist, aber keine Sicherheit bietet. Als Designer/in solltest du daher dauerhafte Beziehungen zu Marken aufbauen, mit denen eine Bindung besteht, um gemeinsam langfristige Strategien zu entwerfen, die ihre Kernwerte zum Ausdruck bringen.
Zu deinen Kunden gehören Marken wie Ginori 1735, Venini, Salviati, Wittmann, Hermés und Steinway & Sons. Was ist sein Lieblingsprojekt?
Die limitierte Auflage des Klaviers für Steinway & Sons ist definitiv eines meiner Lieblingsprojekte. Aus mehreren Gründen. Zunächst einmal war es sehr inspirierend, mit dem weltweit besten Klavierbauer zusammenzuarbeiten; außerdem gibt es nur ausgesprochen wenige Klaviere in limitierter Auflage von Steinway & Sons, so dass ich in die engere Wahl kam. Zu den anderen Menschen, die ein Klavier für Steinway & Sons entworfen haben, gehören Lenny Kravitz, Karl Lagerfeld und Damien Hirst.
Das Klavierprojekt war aus verschiedenen Blickwinkeln inspirierend: Ausgehend von der Prämisse, dass ich kein Musikkenner bin, betrachtete ich die Funktion des Klaviers als ein Möbelstück, also arbeitete ich an der Hülle und ließ das Innere in Ruhe. Das ist so, als würde ich ein Auto entwerfen, an der Karosserie und dem Innenraum arbeiten und den Motor in Ruhe lassen.
Nachdem ich festgestellt hatte, dass das Klavier ein Möbelstück mit zeitloser Anziehungskraft ist, fragte ich mich, was die richtigen Referenzen sein könnten. Also kramte ich mein venezianisches Gedächtnis hervor und fand Referenzen im „Squero“, der Werft, in der Gondeln gebaut werden. Tatsächlich sehe ich Ähnlichkeiten zwischen dem Bau eines Klaviers und dem Bau einer Gondel.
Es gibt Ähnlichkeiten in der Biegung des Holzes, die sowohl in der Gondel als auch in einigen Teilen des Klaviers vorkommt, oder in dem glänzenden Lack, mit dem die Holzteile in der Regel überzogen sind, sowohl in der Gondel als auch in dem Klavier. Deshalb habe ich auch an den Oberflächen und Details des Klavierdesigns gearbeitet.
Das Gran Nichetto von Steinway & Sons wird in 50 Exemplaren hergestellt, von denen 15 schwarz, 15 walnussfarben und 20 burgunderrot sind, alle mit dem klassischen Finish des Klaviers, Polyester-Glanzlack. Ich habe auch den kleinen Schlitz entworfen, aus dem der Deckel des äußeren Gehäuses gehoben wird; er wurde zu einer Art Griff umgestaltet, mit dem sich der Klavierdeckel leicht anheben lässt, und ist ein Metalldetail, das die Oberfläche bereichert.
Welche Projekte bevorzugst du? Produktdesign, Innendesign, Architektur?
Im Allgemeinen bevorzuge ich Projekte, bei denen ich mich am besten ausdrücken kann. Zu unseren Entwürfen gehören Produkte, Art Direction, Ausstellungen und Installationen verschiedenster Art.
In den vergangenen Jahren habe ich Schaufenster für Hermès-Geschäfte in Venedig, Mailand und Hongkong gestaltet – letzteres ist eines der wichtigsten Geschäfte für die Marke. Das Spannendste an der Gestaltung einer Schaufensterdekoration ist, die Werte der Marke mit einer temporären Installation zu verbinden.
Das lässt viel Raum für Kreativität, schafft aber gleichzeitig auch einige Einschränkungen. Die Kunst des Designers besteht also darin, die Markenbotschaft richtig zu interpretieren und gleichzeitig eine Kulisse zu schaffen, die die Kunden anzieht und sie zum Betreten des Ladens einlädt.
Ein weiterer Aspekt ist, dass du beim Produktdesign die Möglichkeit hast, einen Prototyp zu entwerfen, um ihn zu verfeinern, während eine Installation sofort entsteht und es nicht so einfach ist, das Konzept zu ändern, wenn es zufällig nicht funktioniert.
Im Fall von Hermès habe ich die handwerkliche Tradition des Muranoglases mit der handwerklichen Tradition von Hermès zusammengebracht, und das Ergebnis war sehr positiv.
Welche sind die besten Kunden?
Die besten Kunden sind diejenigen, die eine klare Vision und einen gut definierten Auftrag haben. Je klarer das Briefing ist, desto mehr kann sich der Designer auf ein Projekt konzentrieren, das den Anweisungen und der Vision des Kunden folgt.
Wie wir schon sagten, kommt es jedoch manchmal vor, dass manche Kunden kein umfassendes und klares Bild von ihren Zielen haben, und das kann ein Problem sein, sicherlich für sie, aber auch für den Designer.
Kann Design das Leben verbessern?
Design kann das Leben zweifelsohne verbessern, und zwar in vielerlei Hinsicht. Heutzutage hat Design nicht mehr die gesellschaftliche Bedeutung, die es früher hatte. Dennoch ist es nach wie vor entscheidend, wenn es darum geht, Projekte zu definieren, die das Leben verändern können.
Zunächst einmal ermöglicht Design, wenn es richtig angewandt wird, die Gestaltung von Objekten, die Sinn ergeben. Da es aber heutzutage sehr schwierig ist, neue Objekte zu erfinden, besteht die Fähigkeit des Designers auch darin, die Lieferkette zu gestalten und dabei Ressourcen, Energie und alle Prozesse zu sparen, die die Kette Design-Produktion-Vertrieb-Verkauf ausmachen.
Durch die komplette Neugestaltung der Lieferketten wird Design zu einem wichtigen Werkzeug, das die Lebensqualität vieler Menschen verbessert, die in den verschiedenen Phasen aller Prozesse involviert sind, z. B. durch den Einsatz umweltfreundlicherer Energie, nachhaltiger Materialien und weniger umweltbelastender Verarbeitung.
Was ist dein Lieblingsmaterial?
Ich habe kein Lieblingsmaterial, das Material hängt vom Projekt ab. Natürlich liebe ich Muranoglas von ganzem Herzen, es ist das Material, mit dem ich aufgewachsen bin, und es ist wie eine Verlängerung meiner Hand; außerdem mag ich es sehr, wie sich das Glas verändert und mich jedes Mal überrascht.
Trotzdem unterscheidet sich jedes Projekt von dem anderen, also ändert sich das Material je nach Bedarf. Man darf nicht vergessen, dass selbst ein Material wie Glas, das ich hervorragend kenne, immer auch unsichtbare Aspekte enthalten kann. Die Stärke des Designers liegt also in der Entwicklung des Produkts und des gesamten Prozesses, nicht nur im Entwerfen einer Form.
Heute bist du, Luca, ein international bekannter Designer, der in Stockholm lebt, ein Studio in der schwedischen Hauptstadt und eines in Venedig hat und auf der ganzen Welt arbeitet. Aber in welchem Land arbeitest du am besten?
Meiner Meinung nach ist der beste Ort zum Arbeiten immer noch Italien; für einen Designer ist Italien wie das „Spielzeugland“. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine so hohe Konzentration von Handwerkskunst und eine lückenlose Lieferkette. Tatsächlich stehen ausländische Designer Schlange, um in Italien zu arbeiten.
Außerdem ist die Größe unserer Unternehmen so groß, dass, selbst wenn wir von Massenmarkt sprechen, unserer nie ein Massenmarkt ist. Die Liebe zum Detail ermöglicht es uns, bessere Produkte herzustellen, die sich von anderen abheben. Und schließlich gibt es trotz der allgemeinen Abflachung immer noch viel Lust am Experimentieren und die Möglichkeit, dies zu tun.
3 Dinge, die du auf eine einsame Insel mitnehmen würdest?
Meine Familie, Papier und einen ganzen Satz Buntstifte.
Was ist deine Lieblingsstadt? Und welche fünf Orte würdest du einem Freund empfehlen?
Neben Venedig ist meine Lieblingsstadt natürlich Tokio. Die Orte, die ich empfehlen würde, sind:
– für eine Museumstour: Guggenheim, in Bilbao
– für einen richtigen „Fehltritt“: Bar Basso, in Mailand (die Bar, die weltweit für den Cocktail „Negroni sbagliato“ („falscher Negroni“) bekannt ist)
– für spannende Ausstellungen und Displays: Punta Conterie, ein Concept Store in Murano (mit angeschlossenem Restaurant!)
– für gutes Essen: Farmacy, ein in einer alten Apotheke eingerichtetes Restaurant in Brooklyn, New York
– um noch besser zu essen: Osteria Al Timon, in Venedig.
Vielen Dank, Luca. Es war mir ein großes Vergnügen, mit Ihnen zu sprechen!
Luca Nichetto's Studio Website
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Last Updated on März 17, 2024 by Editorial Team
