In Anbetracht der Tatsache, dass Ailine Liefeld Werbefotografin ist, scheint es zunächst nicht weiter verwunderlich, dass sie in den letzten fünf Monaten mit ihrer beliebten Instagram-Seite eine stetig wachsende Community aufgebaut hat. Bedenkt man jedoch, dass die Bilder dort mit ihren sonstigen Aufnahmen eigentlich gar nichts zu tun haben, stellt sich einem schon die Frage: Was hat diese Fotografin derart entflammt? Brot. Und ihre über 3.000 Follower sind begeistert von ihrem knusprigen, lockeren, weichen und oft künstlerischen Sauerteig.
Zwischen März und April 2020 stiegen die Suchanfragen für den Begriff „Sauerteig“ auf Google kometenhaft an. Auf der ganzen Welt stritten sich die Leute um Mehl. Ein oder zwei klägliche Brotlaibe wurden gebacken. Es war eine schöne Zeit. Dann hat die Mehrheit jedoch ihre Starter – die Basis des Sauerteigs, die man selbst durch das Vergären von Mehl und Wasser herstellt – schnell wieder vergessen, sodass sie starben wie ein hungriger Tamagotchi kurz nach Weihnachten.
Für Ailine hingegen war es nicht einfach nur ein Trend oder eine Phase. Sie bezeichnet sich selbst als Nerd, und als solcher verbrachte sie Wochen damit, sich in die Prozesse und Techniken für den perfekten Sauerteig zu vertiefen, bevor sie überhaupt die Zutaten anmischte. Mit ihrem ersten Brot war sie so zufrieden, dass es sie dazu ermutigte, täglich weiter zu backen und A Sour Story ins Leben zu rufen – eine Instagram-Seite, auf der sie ihre Geschichte, Anleitungen, Rezepte und fantastischen Brotlaibe teilt.
Um mehr über ihr neu erlerntes Handwerk zu erfahren, wie sie dorthin kam, und was sie am Brotbacken am meisten liebt, trafen wir uns mit ihr zu einem Videochat.
Was hast du Anfang 2020 gemacht, bevor die Welt sich veränderte?
Ich arbeitete als Fotografin. Von Oktober bis März bin ich immer in Kapstadt, also war ich dort und ging meinem Beruf nach, hing mit meinem Freund ab und unternahm schöne Dinge.
Mein Geburtstag war im März und ich mietete ein Haus. Alle meine Freunde waren da und wir unterhielten uns stundenlang bei gutem Essen und Wein.
Eine Woche später jedoch, als das Social Distancing anfing, beschloss mein Freund, mit mir Schluss zu machen. Von einem Tag auf den nächsten änderte sich mein Leben komplett und ich war alleine zu Hause. Die ersten beiden Wochen waren hart, doch dann zog ein Freund zu mir, der auch in Südafrika festsaß, und zusammen kochten wir dann viel, würfelten und spielten Karten. Als er abreiste, fing ich mit dem Brot an.
Hast du Sauerteig aus Langeweile während des Lockdowns für dich entdeckt oder ist es etwas, das dich schon lange interessiert hat?
Am Anfang des Lockdowns war ich sehr faul. Alle sprachen darüber, wie sie sich fit hielten, lernten oder an Zoom-Meetups teilnahmen. Und ich war nur zu Hause im Bett und schaute Serien. Doch nach fünf oder sechs Wochen wurde es langweilig. Ich kochte viel und habe gesehen, dass viele anfingen Sauerteig zu backen. Das wollte ich immer schon einmal machen und es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick!
Was macht dir daran am meisten Spaß?
Es ist das Arbeiten mit dem Teig. Vor ein paar Tagen habe ich ein Video gepostet, in dem ich fernsehe und dabei den Teig knete. Ich habe es in Zeitlupe geteilt, damit meine Follower verstehen, wie sinnlich es ist. Man denkt dabei an nichts anderes, es gibt nur dich und den Teig. Es ist wie Meditation. So sehr ich es mag zu fotografieren, ich liebe nicht alle Aspekte davon, da man sich ständig den Regeln von anderen unterordnen muss. Hier ist es anders. Die Regeln, als auch das Brot, mache ich.
Ich stelle auch die Werkzeuge selbst her, um das Brot einzuschneiden und nähe Leinenbeutel, um es zu lagern. Ich kümmere mich um das Marketing, lerne, wie man eine Firma gründet, nehme Fotos und Videos von meinen Broten und dem Herstellungsprozess auf. All diese kreativen Bereiche kommen unter Sauerteig zusammen. Es ist so faszinierend und wird nie langweilig!
Ist Brotmachen eine Kunst oder eine Wissenschaft?
Für mich ist der Teig die Wissenschaft. Und was du mit dem Brot machst – wie du es einschneidest, formst und wie du die Rezepte entwickelst – das ist die Kunst.
Du hast deine allererste Starterkultur nach deiner Großmutter Ingrid benannt und sie hat dir kürzlich ihre geliebte Nähmaschine gegeben, um dich bei deinem Projekt zu unterstützen. Hat sie auf dich und dein Leben einen großen Einfluss gehabt?
Meine Großmutter hat immer viel gekocht und gebacken. Früher war sie Schneiderin, mein Großvater Tischler. Beide haben mich dazu inspiriert, mit den Händen zu arbeiten. Sie hatten einen kleinen Selbstversorger-Bauernhof und ich war immer von all diesem Handwerk und natürlichen Dingen umgeben. Mit ihr habe ich unzählige Stunden in der Küche verbracht. Sie hat nicht so viel Brot gebacken, aber sie machte diese Hefeklöße, die ich liebte. Es war nur natürlich, meine erste Starterkultur nach ihr zu benennen.
Du wirst bald mit einer Webseite online gehen. Was kannst du uns darüber erzählen?
Es sollte eigentlich ein kleiner Blog werden und ein Ort, wo ich meine Einschneidewerkzeuge und Leinenkollektion verkaufen kann. Doch nun, da ich andere Pläne habe, wohin das alles führen soll, muss ich die Internetpräsenz und ihre Inhalte etwas überdenken. Ich werde die Webseite nun wahrscheinlich im Dezember kurz vor Weihnachten veröffentlichen. Dort werden meine Einschneidewerkzeuge, eine Leinenkollektion, Gärkörbe und hoffentlich einige Rührschüsseln erhältlich sein.
Du hast erwähnt, dass du in Kapstadt gerne eine Brot-Bar eröffnen würdest. Was ist da deine Vision?
Ich bin schon immer sehr deutsch gewesen, wenn es um meine Mahlzeiten ging. Ich esse viel Brot und Käse. Im letzten Monat habe ich mit meinen Freunden immer nur Brot gegessen und Wein getrunken. Kapstadt ist zwar für seinen Wein berühmt, aber es gibt in der ganzen Stadt keinen Ort, wo man vernünftige Sandwiches oder einfach gutes Brot, Käse und Wein bekommen kann. Dort würde ich gern ansetzen.
Natürlich würde ich auch gerne eine Bäckerei eröffnen. Das ist aber leider sehr viel Arbeit. Hätte ich eine Bäckerei und eine Bar, würde ich wohl nie wieder schlafen.
Möchtest du weiterhin als Fotografin arbeiten?
Auf jeden Fall. Allerdings werde ich selektiver vorgehen, was meine Kunden und Projekte betrifft. Ich habe meistens viel Zeit zwischen großen Produktionen, sodass ich die Zeit dazwischen nutzen kann, um weiter zu backen und andere Aspekte dieser neuen Geschäftsidee weiterzuentwickeln.
Was war während deines Sauerteig-Werdeganges die wichtigste Lektion fürs Leben, die du gelernt hast?
Der Rat, den ich Leuten immer gebe, ist der: Wenn du etwas tun willst, dann mache einen Plan und tue es. Rede mit anderen darüber, um dir neue Inspiration und Motivation zu holen. Gib nicht nach zwei oder drei Wochen auf, weil es schwierig ist. Da musst du durch. Du musst immer weiter lernen und dich weiterbilden.
Von meiner Karriere als Fotografin weiß ich, dass der Weg oft schmerzhaft und zeitaufwendig ist, aber am Ende wirst du es schaffen. Es gibt keine Abkürzungen. Du musst die Arbeit machen und Kraft investieren. Die Leute sehen die Ergebnisse, aber sie begreifen oft nicht, wie schwer es ist, dahin zu gelangen. Am wichtigsten ist es jedoch, den Blick immer auf dich gerichtet zu halten, nicht auf andere. Du selbst bestimmst, was dich glücklich macht.
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Text: Aaron Howes
Foto: Ailine Liefeld
Last Updated on November 23, 2023 by Editorial Team
Aaron aus Großbritannien bietet eine einzigartige Perspektive dank seiner akademischen Ausbildung und seinen Erfahrungen als Redakteur für Markeninhalte bei Highsnobiety. Aufgrund seiner Leidenschaft für die Cross-Over-Aspekte von Design, Technologie und Kultur ist seine Arbeit von einem multidisziplinären Verständnis geprägt.