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Kulinarik und Emotionen verbinden – Sternekoch Sven Wassmer
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Kulinarik und Emotionen verbinden – Sternekoch Sven Wassmer

Küchenchef Sven Wassmer und seine Restaurant – Memories

Der mehrfache Michelin-Sternekoch Sven Wassmer ist der wohl erfolgreichste Kochkünstler der Schweiz. Mit der Verleihung seines dritten Michelin-Sterns im Jahr 2022 ist Wassmers Restaurant Memories nun eines von nur 138 Restaurants weltweit, die eine so hohe Auszeichnung erhalten haben.

Memories Restaurant

Sven Wassmer führt seine eklektische Auffassung der alpinen Küche auf die Verbindungen zurück, die wir mit dem Essen und unserer eigenen Geschichte herstellen. Die Geschmäcker, die uns in unsere Kindheit oder in eine ferne, aber liebevolle Erinnerung zurückversetzen, sind ein wichtiger Bestandteil von Svens kreativen Menüs.

Hier sprechen wir mit dem dreifachen Michelin-Stern-Koch über seine eigenen Erinnerungen, was seine kulinarische Reise beeinflusst und was ihn zu beständigem Erfolg antreibt.

 

Sven Wassmer: Das Interview

 

Hallo Sven, und danke, dass du heute bei uns bist.

Du hast 2015 deinen ersten Michelin-Stern erhalten. Wie bist du seither mit dem Druck umgegangen, erfolgreich zu bleiben und den Namen, den du dir geschaffen hast, aufrechtzuerhalten?

Beruflich bleibe ich ehrgeizig und sehe immer Möglichkeiten, mich weiterzuentwickeln – das ist meine Motivation, immer „fit for purpose“ zu sein.

 

Erzähl uns von deiner Kindheit: Hast du viel Zeit in der Küche verbracht und den Erwachsenen geholfen? Und später: Wann hast du gemerkt, dass es etwas ist, das dir Spaß macht und in dem du gut bist?

Schon als Kind bin ich immer in der Küche herumgesprungen. Das gemeinsame Essen war in meiner Familie sehr wichtig. Ich wollte immer dabei sein, wenn meine Mutter kochte. Besonders der Herd hat es mir angetan. Meine Mutter hat dann Aufgaben für mich gefunden, die ich erledigen sollte. Meine erste Aufgabe war das Salatdressing. Das wurde dann sozusagen mein Beruf. Ich merkte schon sehr früh, dass die Arbeit in der Küche das Richtige für mich war.

Ich hätte mich auch für die Luftfahrt interessiert. Aber als es darum ging, zu entscheiden, was ich machen sollte, habe ich das mit meiner Familie besprochen. So kamen wir auf die Tatsache zurück, dass ich als Junge immer gerne in der Küche geholfen habe. Ich wollte auf keinen Fall einen Bürojob. Ich wollte einen Beruf erlernen, bei dem ich auch Rückmeldung bekommen würde. Als ich mit 14 Jahren zum ersten Mal in eine Küche schnupperte, wusste ich: Das ist es!

 

 

Von der ersten Idee für ein Gericht bis zum Anrichten: Was inspiriert dich zu neuen Ideen und zur Kreation deiner Gerichte? Was ist deine Lieblingszutat?

Die Natur ist meine Quelle der Inspiration. Die Natur liefert uns zahlreiche Ideen. Bei Gemüse konzentriere ich mich darauf, was unter der Erde und was über der Erde wächst. Ich möchte das ganze Spektrum vom Blatt bis zur Wurzel nutzen. Daraus ergeben sich unzählige Möglichkeiten. Man darf nicht zu eindimensional denken.

Ich verwende auch gerne Küchentechniken, die ich auf meinen Reisen gelernt habe, und wende sie auf die Zutaten an, die wir hier haben. Auf diese Weise erhalte ich ein ganz anderes Ergebnis. Es gibt viele Kulturen auf der Welt, die schon viel länger eine Kochkultur haben als wir.

Ich bin sehr stolz auf unsere Milchprodukte. Hier in der Schweiz haben wir nur das Beste. Ohne Butter, Sahne, Milch oder Crème fraîche wäre es für mich vorbei.

 

Wenn du so viel Mühe in jedes Gericht auf der Speisekarte steckst, was erwartest du dann von den Gästen, wenn sie dein Restaurant verlassen? Welches Gefühl, welche Erinnerung oder welchen Geschmack möchtest du deinen Gästen mit auf den Weg geben?

Ich glaube, dass es beim Essen und Kochen um Erinnerungen geht, und zwar um deine persönlichen Erinnerungen. Durch die Erinnerungen lernst du den Geschmack kennen. Jeder Mensch hat einen anderen Geschmack, auch wegen der unterschiedlichen Kindheitserinnerungen, denn das Einzige, was wir alle von Geburt an haben, ist eigentlich der Geschmack. Auf der einen Seite möchte ich eine Geschichte erzählen, auf der anderen Seite möchte ich Erinnerungen schaffen.

Viele Menschen haben als Kind eine Ameise probiert. Als ich beschloss, Ameisen in das Menü aufzunehmen, gab es Diskussionen mit den Gästen, die völlig perplex waren, aber das Gefühl hatten, dass sie irgendwo aufgeschnappt worden waren. Das Gleiche gilt für die Sauerampfer: Auf denen haben wir auch immer rumgekaut. Ich mache etwas, das schon immer da war, das nur ein bisschen in Vergessenheit geraten ist.

Sven Wassmer und sein Team

Eigentümer und Chefkoch eines erfolgreichen Restaurants zu sein und in einem Team zu arbeiten, ist eine große Herausforderung. Was würdest du angehenden Köchen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, raten?

Ich würde mir Restaurants ohne Chefköche und ohne kommerzielle Gerichte wünschen. Versteht mich nicht falsch: Ich verurteile niemanden, und ich tue nichts für Anerkennung; ich tue nur das, was ich fühle. Ich versuche, ein Vorbild zu sein, und ja, ich bin nicht perfekt. Trotzdem versuche ich, meine Gedanken und Bemühungen zu investieren, um eine bessere Version von mir selbst zu werden und zu zeigen, dass es möglich ist, die ganze Branche zu verändern, angefangen bei einem selbst.

Mein Team ist sehr wichtig für mich. Wir diskutieren ständig über neue Ideen und probieren neue Dinge aus. Das hilft, die Kreativität zu fördern. Gerade weil wir unterschiedliche Meinungen, Ideen und Herangehensweisen haben, schaffen wir am Ende so tolle Gerichte. Es ist ein Prozess des ständigen Optimierens und jeder ist voll involviert. Ich habe eine klare Vorstellung davon, wie unsere Küche sein soll. Das A und O ist die Teamarbeit.

 

Du sagtest: „Je länger ich koche, desto mehr lasse ich weg.“ Was bedeutet das genau?

Es geht um meinen Kochstil; ich verfolge eine minimalistische Art, Dinge zu tun. Ich experimentiere auch mit Techniken wie dem Fermentieren und Einlegen. In jedem Fall möchte ich die Seele des Produkts betonen und es so raffiniert wie möglich zubereiten.

Sven Wassmer beim Kochen

Die Alpen und die Natur sind deine große Inspiration und der Ort, an dem du abschaltest. Kommt das aus der Kindheit oder hast du es als Erwachsener entdeckt? Warum fühlst du dich in der Nähe der Natur so wohl?

Ich möchte die besten Produkte verwenden. Was für natürliche Produkte und fantastische Lebensmittel wir hier haben! Was mich heute fasziniert, ist nicht mehr das Exotische aus der Ferne, sondern die Vielfalt und Authentizität hier in der Schweiz und im gesamten Alpenraum. Ich bin aber nie dogmatisch in meiner „Alpenküche“, sondern möchte Spaß beim Kochen haben und die Freiheit, kreativ zu kombinieren, was ich will.

Es gibt sieben Länder mit Zugang zu den Alpen und damit auch zu einzigartigen Naturprodukten. Und wir in der Schweiz befinden uns im Zentrum dieser Region. Solche Produkte wachsen hier, und solche Spezialitäten wurden und werden durch unser Land transportiert. Was liegt da näher, als aus ihnen einzigartige Gerichte zu kochen?

Mein Team und ich sammeln die Zutaten selbst aus dem Wald oder von regionalen Erzeugern, die im Laufe der Jahre zu Freunden geworden sind. Wir teilen mit ihnen die Liebe zu natürlichen Produkten, die unsere Gäste inspirieren. Einer dieser Freunde baut zum Beispiel unglaublich leckere Wassermelonen für uns an – in der Schweiz, auf 900 Metern über dem Meeresspiegel!

 

In eurem Stammrestaurant Memories serviert ihr Schweizer Alpenküche. Da sie nicht allgemein bekannt ist, könntest du ein bisschen mehr darüber erzählen, woraus sie besteht, wie die Gerichte zubereitet werden und was du hinzufügst, um sie persönlicher zu machen?

Meine Gerichte orientieren sich an den Jahreszeiten und ändern sich mit ihnen. Denn die Kraft und der Geschmack der Produkte haben ihren eigenen Höhepunkt, der durch den Standort, das Wetter, die Böden und die verfügbaren Nährstoffe bestimmt wird. Die Zubereitung bringt die Produkte auf ihren Höhepunkt und offenbart ihren reinen Charakter.

Die Alpenregion ist die große kulinarische Speisekammer unserer Küche. Viele Produktionsmethoden sind überliefert und nutzen das, was vor Ort verfügbar ist. Milchprodukte sind überall in den Alpen ein zentraler Bestandteil des Speiseplans.

Memories' Team at Work

Nachhaltigkeit war dir schon immer wichtig, sowohl beruflich als auch im Privatleben. Wie schaffst du es, deine Restaurants nachhaltiger zu gestalten?

Mein ganzer Kochstil dreht sich um Nachhaltigkeit, die Nachhaltigkeit von Kulturen, Handwerk und Ressourcen und den Respekt gegenüber den Künstlern, die das Land bewirtschaften. Dieses Ethos zeigt sich darin, dass wir mit den Jahreszeiten arbeiten und mit Verantwortung und Sorgfalt einkaufen. Wir kennen den Hintergrund jeder Zutat, die wir servieren und verwenden.

 

Gibt es ein bestimmtes Gericht, das einen nostalgischen Wert oder eine besondere Bedeutung für dich hat? Kannst du uns sagen, warum?

Saibling aus dem Val Lumnezia mit gerösteter Sennereisahne und Tannenöl. Das ist mein Lieblingsgericht. Ich habe es vor langer Zeit auf meine eigene Speisekarte gesetzt und habe es hier im Memories Restaurant aufgenommen. Es ist wirklich eines der besten Fischgerichte, die es in der Schweiz gibt. Der Saibling wird dort auch in Zukunft immer einen Platz finden. Denn er bringt meine Philosophie der alpinen Küche mit wenigen Zutaten perfekt auf den Teller.

Ein Stück Bergsaibling aus eiskaltem Wasser auf 1.300 Metern Höhe wird mit Heu, getrockneten Tannenzapfen und Rinde leicht geräuchert. Dazu gibt es eine Sauce aus karamellisiertem Rahm, in der Schweiz Rahm oder Sahne genannt, mit Tannenöl, über die junge Tannennadeln dosiert gestreut werden. Ein Gericht aus drei Zutaten, ein verblüffendes Zusammenspiel von zart verbrannten (im besten Sinne) dunklen Tönen mit den herben ätherischen Noten der Konifere, dem Schmelz von kaum gekochtem Süßwasserfisch und dem Fett eines wirklich guten Alpenmilchprodukts.

Für mich zeigt dieses Gericht, was sich im Laufe der Jahre in der Schweizer Spitzenküche verändert hat, vor deren konservativer Eintönigkeit ich einst nach London geflohen bin. Es ist ein Gericht, das vielleicht nicht so aussieht, als stünde es ganz oben auf der Liste, aber es funktioniert sensationell.

Sven Wassmer's Signature Dish: Saibling aus dem Val Lumnezia mit gerösteter Sennereisahne und Tannenöl

Als anerkannter Küchenchef hast du in all den Jahren wahrscheinlich von anderen gelernt. Wer war dein größter Einfluss oder eine Person, die du am meisten bewunderst?

In meiner Kindheit vor allem meine Oma und meine Familie. Und danach Rene Rezepi und Daniel Humm.

 

Dein Job ist ziemlich stressig und anspruchsvoll. Wie entspannst du dich in deiner Freizeit? (Bitte sag nicht, dass du kochst! 😉 )

Ich verbringe meine freie Zeit mit meiner Familie. Ich gehe zum Beispiel oft mit Elijah, mein Sohn, in den Skatepark, in den ich schon als Kind gegangen bin. Die Zeit mit ihm ist wie eine Therapie. Ich kann richtig entschleunigen und bin frei von meinen Gedanken. Dieses neue Gleichgewicht gibt mir auch so viel mehr Energie. Und ich möchte sagen, dass ich ohne Amanda, meine Frau, nicht der wäre, der ich heute bin.

 

Bist du derjenige, der an deinem freien Tag für deine Familie und Freunde kocht? Oder bestellst du vielleicht nur eine Pizza? Trauen sich deine Freunde, dich zu einem selbstgekochten Abendessen einzuladen?

Zu Hause gehe ich lieber „zwei Schritte vom Herd weg“, mache den Abwasch und gehe den Wocheneinkauf erledigen. Ansonsten gibt es in unserer Familie eine flexible Rollenverteilung: Vor Wäsche und Putzen habe ich keine Angst. Natürlich werde ich von meinen Freunden und meiner Familie zum Essen eingeladen. Ich bin auch sehr unkompliziert und freue mich immer über ein nettes Beisammensein.

 

Wir fragen uns – was ist deine Lieblingsstadt? Und welche 5 Orte würdest du deinem besten Freund oder deiner besten Freundin empfehlen, wenn er oder sie in der Stadt ist? (Das kann alles sein: ein Restaurant, eine Bar, eine Galerie, ein Geschäft, ein Park, etc.)

 

Für mich ist das London. Es ist wie mein zweites Zuhause. Ich bin immer noch begeistert von der großen Vielfalt und der Energie, die diese Stadt ausstrahlt. Die Liste der Restaurants ließe sich endlos fortsetzen, also werde ich nur ein paar erwähnen:

 

Vielen Dank, Sven; es war mir ein Vergnügen!

Sven Wassmer's Memories Restaurant website

 

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Last Updated on März 17, 2024 by Editorial Team

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