64 Kilometer weit entfernt von der nächsten größeren Stadt liegt das dünn besiedelte norwegische Dorf Båly in Lindesnes. Folgt man der zerklüfteten, von rauen Wetterbedingungen geprägten Küste, findet man ein halb versunkenes, monolithisches Bauwerk, das sich bis auf die Felsen erstreckt – ein Anblick, welcher der Umgebung definitiv angemessen ist. Hier finden wir das Under – Europas erstes Unterwasserrestaurant und gleichzeitig das größte der Welt – ein kühnes unternehmerisches Vorhaben der Brüder und Hoteliers Stig und Gaute Ubostad.
Man könnte glatt behaupten, dass das Under seine Gäste in eine ganz neue Welt entführt. Was es aber wirklich bietet, ist etwas viel Größeres: seine eigene Welt, bereichert durch alternative Perspektiven, in all ihrer Schönheit, Komplexität und ihren Wundern. Wer das Under betritt, taucht in eine Welt der Geheimnisse und des Staunens ein, ein Schritt außerhalb der Komfortzone durch eine tadellose Symbiose aus Küche und Design. Zunächst haben wir uns mit dem Chefkoch Nicolai Ellitsgaard Pedersen unterhalten, dessen 18-Gänge-Menü aus organischen Produkten und anregenden Kreationen Norwegen seinen ersten Michelin-Stern eingebracht hat.
Nicolai Ellitsgaard Pedersen über die außergewöhnlichen kulinarischen Möglichkeiten des Under
Erzähl uns doch mal, wie du auf das Under gekommen bist und wie du dich darauf vorbereitet hast, diese Rolle in einem so einzigartigen Umfeld zu übernehmen.
2,5 Jahre vor der Eröffnung luden mich die Ubostad-Brüder (die Hauptinvestoren) auf einen Kaffee ein und zeigten mir dabei einige am Computer erstellte Bilder. Ich verliebte mich sofort in das Projekt und dachte, dass ich bescheuert wäre, wenn ich solch eine Chance nicht sofort beim Schopfe packen würde – ich meine, wie oft bekommt man schon eine solche Chance? Am Tag nach dem Treffen begann ich langsam mit der Arbeit an der Speisekarte. Ich testete verschiedene Zutaten, schrieb Ideen auf, suchte neue Lieferanten, überzeugte Fischer, den Beifang zu verwerten, anstatt ihn wegzuwerfen, und sprach mit Meeresbiologen über neue und ungenutzte Zutaten und Produkte, die interessant sein könnten.
Eure Produkte sind so „regional“, wie es nur geht. Welche Schwierigkeiten oder kreativen Möglichkeiten ergeben sich, wenn die Küche von dem abhängig ist, was in der Umgebung natürlich vorkommt?
Das ist natürlich eine Herausforderung. Das bietet aber auch eine große Chance. Wir kaufen oft direkt bei den Fischern ein und können so die Qualität oder den Reifeprozess des Fisches kontrollieren. Wir wissen, dass er an diesem Tag gefangen wurde, während es bei einem großen Unternehmen schwieriger ist, genau zu wissen, wie alt der Fisch ist, den man geliefert bekommt. Wir haben auch ein eigenes Lebendlager für Krebstiere und Weichtiere. Für mich ist es für die Qualitätskontrolle wichtig, dass alle Schalen- und Krustentiere lebendig zu uns kommen – das ist eine meiner Regeln.
Wie verändern sich eure Arbeitsabläufe in der Küche, wenn ihr auf der Suche nach Lebensmitteln seid und diese selbst fangt?
Unser Fisch wird von Fischern auf lokalen Booten oder, im Fall der Langusten, auf unserem eigenen Boot gefangen. Alle Langusten, die wir nicht verwenden, werden in andere Teile Norwegens verkauft und einige werden auch lebend ins Ausland verschifft.
Bei der Nahrungssuche geht es vor allem um Struktur: Früher habe ich jeden ersten Morgen der Woche mit der Suche nach Seegras begonnen und an anderen Tagen nach den restlichen Kräutern. Die große Nahrungssuche machen wir in Gruppen von 3 bis 4 Personen.
Die Wälder und Meere sind so inspirierend …
Was ist die größte Entdeckung, die du bei der Beschaffung von Zutaten selbst oder in Zusammenarbeit mit lokalen Bauern und Meeresbiologen gemacht hast?
Algen, die wie Trüffel schmecken. Ich habe sechs Monate lang danach gesucht, nachdem ich sie mit einem Freund von den Färöer-Inseln probiert hatte. Niemand wusste wirklich etwas darüber, also musste ich alles auf eigene Faust herausfinden. Ich habe viele verschiedene Algen ausprobiert, bis ich sie endlich gefunden habe.
Wie ist es, wenn der tägliche “Weg ins Büro” das Abtauchen in die Tiefen des Ozeans bedeutet – verblüfft dich dieses geheimnisvolle Universum immer noch?
Hoffentlich wird es mich für immer in Erstaunen versetzen! Ich bin jedes Mal aufs Neue wieder fasziniert und hoffe wirklich, dass das so bleibt.
Essen ist bekanntlich ein Fenster in eine Kultur. Inwiefern spricht das Menü, das du im Under kreiert hast, die nordische Kultur an oder repräsentiert sie?
Wir verwenden nur Zutaten, die in diesem Teil Norwegens zu finden sind. Manche Muscheln müssen wir in Bergen besorgen, jedoch sind meine Kriterien, dass wir sie auch hier finden könnten. Eines unserer berühmtesten Gerichte ist unser “Fiskepudding”, ein traditionelles norwegisches Gericht, das wir auf unsere Art zubereiten.
Deine Speisekarte ist von asiatischen Einflüssen geprägt – inwiefern ergänzen oder kontrastieren sich die asiatische und die nordische Küche?
In Asien oder Japan dreht sich alles um die Frische und Qualität des Fisches oder der Muschel. Diese Einstellung habe ich mir zu eigen gemacht: Für mich ist Qualität der wichtigste Aspekt. Wir verwenden verschiedene „asiatische Soßen“ wie Garums/Fischsauce – wir machen unsere eigenen mit unseren Zutaten, lassen uns aber gleichzeitig von alten asiatischen Rezepten inspirieren.
Du hast gesagt, dass es wichtig ist, dass die Gäste “nicht wissen, was sie essen werden, bevor sie es essen”. Was bedeutet dieses Element des Unbekannten für das kulinarische Erlebnis?
Das Element der Überraschung ist essenziell. Ich glaube, dass man, wenn man nicht weiß, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet, von dem nächsten Gericht noch mehr gefesselt wird.
Rune Grasdal von Snøhetta über die Entstehung der Welt von Under
Bevor wir uns mit Nicolais Menü auf eine Reise ins Unbekannte begeben, begegnet uns Under zunächst mit soliden architektonischen Formen, die in ätherische Innenräume führen. Das Design stammt von dem preisgekrönten norwegischen Architekturbüro Snøhetta, das für das eindrucksvolle Opernhaus in Oslo bekannt ist. Glatte, moderne Räume führen uns allmählich auf den Meeresgrund, in einer ruhigen Umgebung, die im Kontrast zu den rauen Außenbedingungen steht. Wie wurde eine solche Welt geschaffen? Rune Grasdal von Snøhetta hat uns alle Fragen zum Design beantwortet.
Die monolithische Struktur des Restaurants wurde u. a. mit einem Wal und einem Schiffswrack verglichen. Gab es eine bestimmte Idee, die zu seiner Form und Positionierung geführt hat?
Die Form entstand aus der Aufgabe heraus, die Gäste so einfach und sicher wie möglich von 3 Metern über dem Meeresspiegel auf 5 Meter Tiefe zu bringen. Die Antwort darauf ist eine “Betonröhre”, die die Gäste nach unten bringt. Das gebogene Querprofil sorgt dafür, dass das Gebäude dem Wasserdruck und großen Wellen standhält.
Wie hat die Wahl des Standorts für das Restaurant – nicht nur Lindesnes, sondern auch diese spezielle Bucht – deine Designentscheidungen beeinflusst?
Der Ort für das Restaurant wurde so gewählt, dass es den größtmöglichen Kontakt mit der Natur, dem Meer und den Naturgewalten hat. Wir wollten auch, dass das Restaurant wie ein künstliches Riff wirkt, bei dem Muscheln und Seegras auf dem Gebäude wachsen können. Das Gebäude sollte intuitiv und einfach zu verstehen sein; es sollte sich sicher und komfortabel anfühlen und gleichzeitig ein aufregendes Fenster zu einer unbekannten Welt darstellen.
Was sind die größten Unterschiede in der Herangehensweise und in den Abläufen, wenn man ein Gebäude unter Wasser im Gegensatz zum üblichen Überwasserbau errichtet?
Große Kräfte durch Wasserdruck und große Wellen müssen berücksichtigt werden. Außerdem müssen alle kleinen Lecks ordnungsgemäß repariert werden. Das Wichtigste ist, dass die Besucher unten im Restaurant ein tolles Erlebnis haben und sich sicher fühlen. Eine gute Akustik, Beleuchtung, der bewusste Einsatz von Materialien und ein Raum, in dem sich die Besucher leicht orientieren können, sind von größter Bedeutung.
Welche Forschungsarbeiten und Berechnungen mussten vor dem Eintauchen der Struktur in das Wasser durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass sie funktionieren würde?
Wir haben mit Ingenieuren zusammengearbeitet, die über besondere Erfahrungen in der Ölindustrie in der Nordsee und im Tunnelbau in Norwegen verfügen. Es wurden auch viele Berechnungen und Simulationen von großen Wellen durchgeführt, um zu testen, was das Gebäude aushalten muss.
Was glaubst du ist die Wirkung, die das “Under”-Erlebnis auf die Menschen hat? Wie habt ihr versucht, das bei euren Designentscheidungen zu unterstreichen?
Es ist ein magisches und ganz besonderes Gefühl, im Restaurant zu sein. Du hast viel Zeit, das Leben im Meer zu studieren, ohne die verschiedenen Arten zu stören. Die Licht- und Wetterbedingungen führen zu vielen wunderbaren Naturerlebnissen. Das große Fenster ist die Hauptbühne für das Erlebnis, aber auch der Hauptraum selbst ist mit seiner beeindruckenden Größe ein Erlebnis, da er sich gleichzeitig warm und intim anfühlt. Die Verwendung der richtigen Materialien und Farben ist hier von großer Bedeutung.
Wie kann Design unsere Beziehung zur Natur verändern? Auf welche Weise versucht deine Arbeit in Under, dies zu erreichen?
Das Under bietet seinen Besuchern Zugang zu einer neuen Welt und eine Naturerfahrung, die komplett einzigartig ist. Wir glauben, dass dies den Gästen hilft, eine bewusstere Beziehung zum Meer zu entwickeln und sich klarzumachen, wie wichtig es für uns alle ist. Zusätzlich zum Under wird nebenan auch ein Besucherzentrum eingerichtet, in dem sich die Gäste über Meeresbiologie, Verschmutzung, Aquakultur, Fischerei usw. informieren können.
Da “under” auf Norwegisch auch mit “Wunder” übersetzt werden kann, würden wir gern von dir wissen, wie du eine Hoffnung für Wunder und eine gewisse Offenheit in deinem Alltag bewahren kannst?
Indem ich ständig neugierig und offen für neue Dinge bin.
Was würdest du tun, wenn du die Welt sofort verändern könntest?
Wir sind gerade dabei, umweltfreundlichere Gebäude zu bauen (als Teil des Powerhouse-Projekts), die mehr Energie produzieren, als sie während ihrer Lebensdauer verbrauchen. Wir versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Bauindustrie ist nämlich für 40% der Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Nenne deine Lieblingsstadt. Welches sind die 5 schönsten Orte, die du deinem besten Freund empfehlen würdest, wenn er oder sie die Stadt besucht?
Die Antwort kann nur Oslo sein.
- Das Opernhaus
- Der Fjord und seine Inseln
- Die Nordmarka, ein üppiger Wald mit Seen in der Nähe von Oslo.
- Das Munch-Museum, wenn es fertig ist
- Die neue Nationalgalerie, wenn sie fertiggestellt ist
Weitere spannende Artikel:
- Ein Gespräch Mit Dem Sternekoch Und Kulinarischen Provokateur Tim Raue
- Unsere 6 Lieblings-Architekturbücher Von Taschen
Last Updated on März 17, 2024 by Editorial Team
Chefredakteur Raffaele schenkt dem Magazin ein weltgewandtes Flair, das er aus London, Berlin, New York und Barcelona einbringt. Seine 20-jährige Erfahrung mit Luxusmarken sowie seine Liebe zu Reisen und Essen bereichern den Magazininhalt.